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Inhaltliches Klassenkampf

Woher kommen die Teuerungen – und wie können wir dagegen kämpfen?

Streiks und politische Kämpfe gegen die Umverteilung von unten nach oben!

Politische Erklärung zu den Preissteigerungen und wie wir dagegen kämpfen können

Die Warenpreise und Lebenshaltungskosten in Deutschland steigen zurzeit so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Im Oktober lag der durchschnittliche Anstieg der Preise gegenüber dem Vorjahr nach staatlichen Berechnungen bei 4,5 Prozent.{1} Das hat es zuletzt 1993 gegeben. Zahlreiche Waren des täglichen Bedarfs haben sich dabei noch deutlich mehr verteuert, darunter vor allem Heiz- und Kraftstoffe. Die höchsten Preissteigerungen gab es bei den folgenden Warengruppen:
  • Nahrungsmittel allgemein (+ 4,4 %)
  • Gemüse (+ 4 %) 
  • Fleisch und Fleischwaren (+ 4,5 %)
  • Erdgas (+ 7,4 %)
  • Superbenzin (+ 32,1 %)
  • Diesel (+ 43,9 %) 
  • Heizöl (+ 101,1 %)
Zwar muss bei diesen Zahlen berücksichtigt werden, dass die Mehrwertsteuer zu diesem Zeitpunkt im Jahr 2020 zwischenzeitlich gesenkt und der Ölpreis auf einem Rekordtief war. Die Entwicklung hin zu einer drastischen Steigerung der Lebenshaltungskosten ist aber eindeutig. Davon direkt betroffen sind vor allem Arbeiter:innen, Rentner:innen, Frauen und Student:innen, deren Einkommen immer früher vor dem Monatsende aufgebraucht ist. Sie müssen neben den zum Teil explodierenden Mieten in den Großstädten jetzt auch noch immer mehr Geld im Supermarkt, an der Tankstelle und fürs Heizen ausgeben. 
Die aktuellen Preissteigerungen sind eine Folge der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer Krisenhaftigkeit. Sie stellen eine massive Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben dar: aus den Taschen der Arbeiter:innenklasse in die Hände der großen Konzerne und der dahinter stehenden Finanzoligarchie. 
Konkret sind die derzeitigen Preissteigerungen vor allem auf drei Entwicklungen im Weltkapitalismus zurückzuführen.
1. Der Kapitalismus ist nicht in der Lage, die weltweiten Lieferketten nach Krise und Pandemie wieder störungsfrei in Gang zu bringen
Die kapitalistische Weltwirtschaft wurde ab 2018/19 von einer schweren Überproduktionskrise getroffen, wie sie gesetzmäßig alle vier bis sechs Jahre auftritt. Im Frühjahr 2020 kam die Corona-Pandemie als äußerer Schock hinzu, der die Wirtschaftskrise massiv verschärft hat. Allein in Deutschland ist die Industrieproduktion im Jahr 2020 um 10,8 Prozent eingebrochen {2}. Die weltweite Wirtschaftsleistung (BIP) sank um 3,4 Prozent und damit viel stärker als bei der Krise von 2008/09 (- 1,3 %). Das Zusammenwirken von Überproduktion und Pandemie hat zu einer Krise mit besonderen Merkmalen geführt. So wurden etwa die weltweiten Lieferketten unterbrochen, kleine und mittlere Zulieferbetriebe in abhängigen Staaten in den Ruin getrieben und der stationäre Handel in fast allen Ländern zeitweilig geschlossen. Dies hatte erstens zur Folge, dass die Arbeiter:innenklasse und vor allem ihre besonders ausgebeuteten Teile viel schwerer getroffen wurden als in früheren Krisen. Zweitens kann die Industrieproduktion jetzt, in der Belebungsphase des Krisenzyklus, nur unter schweren Stockungen wieder hochfahren, weil der internationale Seehandel immer noch beeinträchtigt ist, Vorprodukte nicht hergestellt wurden und Rohstoffe knapp sind. Durch die Stockungen und Knappheiten bei steigender Nachfrage haben sich Holz, Kupfer, Mikrochips und andere Güter massiv verteuert. Und diese Teuerung zieht sich nun durch alle Bereiche der Wirtschaft: „Was mit Holz und Mikrochips begann, hat inzwischen nahezu alle Warengruppen erfasst. Es fehlt an Spielekonsolen, Turnschuhen, Fahrrädern, Papier, Smartphones, Haushaltsgeräten – selbst elektrische Zahnbürsten sind knapp. Lieferzeiten von mehreren Wochen oder gar Monaten sind keine Seltenheit, Preise explodieren.“ {3}.
Ein Ende dieser Stockungen ist noch lange nicht in Sicht. Selbst ohne Berücksichtigung der Pandemie rechnen Unternehmen mit schweren Beeinträchtigungen der Produktion und des Handels bis Ende 2022. Dennoch erweisen sich die kapitalistischen Staaten bei jeder weiteren Infektionswelle aufs Neue als unfähig, die Ausbreitung von Covid-19 in den Griff zu bekommen. Stattdessen laufen sie der Pandemieentwicklung so lange hinterher, bis sie am Ende keine andere Wahl haben, als Teile des öffentlichen Lebens erneut stillzulegen, während die Produktion auf Gedeih und Verderb am Laufen gehalten wird. Stockungen und leere Regale könnten also noch für Jahre zum Alltag gehören und die Preise verteuern.
Die tieferliegende Ursache für die Stockungen in Industrieproduktion und Welthandel ist der Widerspruch, dass die Produktion im Kapitalismus zwar auf die ganze Gesellschaft verteilt ist, es dabei aber keine gesellschaftliche Planung und Organisation gibt. Das entscheidende Hindernis hierfür ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln. Statt gesamtgesellschaftliche Wirtschaftspläne aufzustellen, plant jedes kapitalistische Unternehmen nur für den eigenen Profit. Um Kosten zu sparen, verteilen die Unternehmen ihre Produktion über den gesamten Globus, legen keine Vorräte an und setzen auf „Just-in-time“-Belieferung. Eine solche Organisation der Produktion bedeutet nicht nur einen Raubbau an Arbeiter:innen und Umwelt, sondern muss im Falle einer schweren Störung wie einer Pandemie zwangsläufig zusammenbrechen. Nicht zuletzt ist der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung der Produkte auch die Ursache für die regelmäßigen Überproduktionskrisen. Einen Ausweg hierfür bietet nur die Enteignung der kapitalistischen Unternehmen und die Überführung aller Produktionsmittel in die Hände der Gesellschaft. Im Sozialismus wird die gesamte Produktion dann gesellschaftlich geplant und umgesetzt. Dies ist die notwendige Bedingung dafür, Stockungen und Knappheiten in der Versorgung mit Gütern zu beseitigen.
2. Die imperialistischen Staaten wälzen die Kosten für ihre Energiepolitik auf die Arbeiter:innenklasse ab
Zu den pandemiebedingten Stockungen kommt eine Energiekrise der westlichen imperialistischen Staaten. Diese ist eine Begleiterscheinung der Umwandlung der industriellen Basis dieser Staaten, wozu etwa die Abkehr von der Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen wie Kohle, Öl und Gas zählt. Diese sind zurzeit knapp, die Nachfrage steigt und zugleich konnte in diesem Jahr wetterbedingt nicht genug Strom durch erneuerbare Energien produziert werden. In der Folge hat sich der Preis für Rohöl zwischen Oktober 2020 und Oktober 2021 verdoppelt. Der Gaspreis ist um 130 % gestiegen und der für Kohle um 342% {4}. Hinzu kommt die CO2-Steuer, mit der die Kosten für die industrielle Umwandlung auf die Arbeiter:innenklasse abgewälzt werden. Diese wurde im Januar 2021 eingeführt, soll bis 2025 schrittweise steigen und wirkt sich konkret in einem Aufschlag auf die Preise von Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas aus. Die Unternehmensberatung McKinsey geht davon aus, dass sich die Kosten der Umwandlung allein für Deutschland bis 2045 auf sechs Billionen Euro belaufen werden {5}. 
Eine industrielle Umwandlung weg von fossilen Energieträgern ist zwar notwendig, um die Klimazerstörung durch weitere CO2-Emissionen zu bremsen. Aus kapitalistischer Sicht geht es hierbei jedoch vor allem darum, die Folgekosten durch die Erderwärmung zu begrenzen und sich darauf vorzubereiten, dass die Vorräte an fossilen Brennstoffen perspektivisch zur Neige gehen bzw. ihre Produktion immer teurer wird. Nicht zuletzt geht es dabei auch um knallharte Geopolitik: Die westlichen imperialistischen Staaten wie die USA und viele EU-Länder gehören pro Kopf gerechnet zwar immer noch zu den größten Verursachern von CO2-Emissionen. Sie können ihre Industrien jedoch schneller auf nicht-fossile Energieträger umstellen als etwa China oder Russland. Aus diesem Grund präsentieren sie sich jetzt als die Vorkämpfer der Klimarettung und beschließen angeblich „grüne“ Maßnahmen wie die geplanten CO2-Grenzzölle der EU, die letztlich nichts anderes sind als Instrumente im Wirtschaftskrieg. Bezahlen wird auch hierfür am Ende die Arbeiter:innenklasse. 
Die „Klimarettung“ der kapitalistischen Länder erweist sich bei näherem Hinsehen also als eine Mischung aus Geostrategie und getarnter Umverteilungspolitik. Eine konsequente Neuorganisation der Produktion zur Verhinderung der Klimazerstörung erfordert dagegen ebenfalls eine gesamtgesellschaftliche Planung und ist mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln nicht vereinbar. 
3. Die Notenbanken drucken Rekordbeträge an Geld
Zu den genannten wirtschaftlichen Reibungen und staatlichen Maßnahmen, die hinter der Preisentwicklung stehen, kommt außerdem die Geldpolitik der Notenbanken. Während des ersten Pandemiejahres haben allein die amerikanische, die europäische und die japanische Notenbank Geld in Höhe von 8 Billionen US-Dollar generiert und damit staatliche Krisenprogramme finanziert. Diese bestanden wiederum vor allem aus Krediten, Subventionen und Garantien für Unternehmen und summierten sich bis Ende Januar 2021 weltweit auf 14 Billionen Dollar. Wird die Geldmenge ausgedehnt, führt dies jedoch über kurz oder lang zwangsläufig zu einer Entwertung des Geldes – man bezeichnet dieses Phänomen als Inflation. Bei gleichbleibenden Löhnen bedeutet die Inflation also, dass wir uns für unseren Lohn weniger leisten können, sie ist also ein Mittel zur Umverteilung von unten nach oben.  
Streiks und politische Kämpfe verbinden – gegen das kapitalistische System!
Die Arbeiter:innenklasse kann sich gegen die fortschreitende Verteuerung der Waren und Lebenshaltungskosten zur Wehr setzen, indem sie wirtschaftliche und politische Kämpfe miteinander verbindet.
Im wirtschaftlichen Kampf sind Streiks für höhere Löhne die wichtigste Waffe der Arbeiter:innen gegen die schleichende Enteignung durch teurere Waren. Die Preissteigerungen müssen durch höhere Löhne jetzt mindestens ausgeglichen werden. 
Die Kapitalseite trommelt dagegen schon mit dem alten Märchen, dass hierdurch eine automatische „Lohn-Preis-Spirale“ in Gang gesetzt würde, die Arbeiter:innen von höheren Löhnen also gar nichts hätten. In Wahrheit bedeuten höhere Löhne aber nur eine Senkung des Mehrwerts, also der Unternehmensgewinne, die aus der Ausbeutung von Lohnarbeit entspringen. Der Preis der Ware Arbeitskraft muss dagegen steigen, wenn die Lebenshaltungskosten teurer werden. Dies ist aber kein Automatismus, sondern muss durch Streiks erkämpft werden. Wichtig ist: Tarifforderungen in ausreichender Höhe werden die Arbeiter:innen aus den Betrieben heraus selbständig erkämpfen, das heißt gegen die Führungen der DGB-Gewerkschaften durchsetzen müssen. Die Kapitalist:innen behaupten, dass sie höhere Preise verlangen müssten, wenn sie uns höhere Löhne zahlen. Das nennen sie Lohn-Preis-Spirale. Die Gewerkschaften haben die Legende von der „Lohn-Preis-Spirale“ in der Krise übernommen, sind nur zu relativ moderaten Tarifkämpfen bereit, die die Teuerung nicht ausgleichen würden, und bleiben damit ihrer Rolle als Co-Manager:innen des Kapitals treu. Es braucht Druck von der Basis der Gewerkschaften und aus den Betrieben, um deutlich zu machen, dass wir den sozialpartnerschaftlichen Kurs nicht mittragen.
Streiks für höhere Löhne müssen darüber hinaus verbunden werden mit dem politischen Kampf gegen die Umverteilungspolitik des Staates. Ob über den Staatshaushalt oder die Geldentwertung, ob im Namen der Pandemiepolitik oder der Klimarettung. Die kapitalistischen Staaten setzen derzeit alle Hebel in Bewegung, um den großen Konzernen und ihren Eigentümer:innen Reichtum aus den Taschen der Arbeiter:innenklasse zukommen zu lassen. Die Antwort darauf müssen Demonstrationen und Kämpfe gegen hohe Spritpreise und Heizkosten, gegen CO2-Steuern und Grenzzölle sein sowie dafür, dass die Kapitalseite sämtliche Kosten für die Umwandlung ihrer industriellen Basis selbst trägt. Ebenso muss politisch durchgesetzt werden, dass sämtliche Löhne in Deutschland automatisch an die Preisentwicklung angepasst werden.
Der vielfältige Charakter der kapitalistischen Krise, die in den Preissteigerungen zum Ausdruck kommt, zeigt einmal mehr, dass dieses System zerschlagen und durch eine neue, sozialistische Gesellschaft ersetzt werden muss. Die wirtschaftlichen und politischen Kämpfe gegen die Verschlechterung der Lage der Arbeiter:innenklasse dürfen deshalb nicht defensiv und auf die Abwehr neuer Angriffe beschränkt bleiben. Vielmehr muss es in diesen Kämpfen darum gehen, den Bewegungsspielraum der Arbeiter:innenklasse im Kampf gegen das kapitalistische System als Ganzes zu erweitern und nach vorne zu kommen. 
1         https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/11/PD21_513_611.html                 
2         Statistisches Bundesamt, „Industrieproduktion im Jahr 2020 um         mehr als 10 % gesunken“, Pressemitteilung Nr. 076 vom 22.         Februar 2021,         https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/02/PD21_076_421.html